Beauftragter Fabritius zum Gedenktag der Russlanddeutschen:

Typ: Meldung , Datum: 28.08.2020

Russlanddeutsche Geschichte ist deutsche Geschichte. Sie geht uns alle an!

Anlässlich des Gedenktages der Russlanddeutschen zum Stalin-Erlass vom 28.8.1941 teilt der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Prof. Dr. Bernd Fabritius, mit:

"Es ist ein wichtiges Anliegen, auch in einer Zeit, in der größere Versammlungen und Gedenkveranstaltungen bedauerlicherweise nicht möglich sind, wichtigen historischen, und in besonderer Weise identitätsstiftenden Ereignissen zu gedenken. Dazu gehört zweifelsohne das Schicksal der Deutschen aus Russland, die im Jahr 1941 – nach dem Überfall des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion – basierend auf einem kollektiven Vorwurf der Kollaboration als „Diversanten und Spione“ mit den Nazis auf Grundlage des Erlasses des Obersten Sowjets „Über die Umsiedlung der in den Rayons des Wolgagebiets lebenden Deutschen“, des sogenannten „Stalin-Erlasses“ vom 28.8.1941, deportiert und in Sibirien und anderen unwirtlichen Regionen der Sowjetunion harter Zwangsarbeit in den sogenannten Arbeitsarmeen und weiteren Repressionen unterworfen wurden. Ein Großteil der Volksgruppe überlebte diese Maßnahmen nicht; viele von den Überlebenden waren ihr Leben lang durch das Erlebte gezeichnet. Die Zahl der Toten wird auf 700.000 geschätzt. Eine Rehabilitierung der Russlanddeutschen ist trotz Rücknahme des Kollaborationsvorwurfes bis heute nicht erfolgt.

Erlass des Obersten Sowjets "Über die Umsiedlung der in den Rayons des Wolgagebiets lebenden Deutschen" vom 28. August 1941 Erlass des Obersten Sowjets "Über die Umsiedlung der in den Rayons des Wolgagebiets lebenden Deutschen" vom 28. August 1941 (Vergrößerung öffnet sich im neuen Fenster) Erlass des Obersten Sowjets "Über die Umsiedlung der in den Rayons des Wolgagebiets lebenden Deutschen" vom 28. August 1941

Dieses besondere Kriegsfolgeschicksal ist noch heute Teil des kollektiven Gedächtnisses der Deutschen aus Russland, sowohl den nach Deutschland ausgesiedelten wie auch den in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion verbliebenen, und wirkt wie ein generationenübergreifendes Trauma, von dem nahezu jede russlanddeutsche Familie durch tragische Verluste und Repressionserfahrungen betroffen ist.

Dieser weitere Zivilisationsbruch im 20. Jahrhundert wirkte auf die Deutschen in der Sowjetunion umso härter, weil sie in den Jahrhunderten zuvor als überaus geachtete Bürger des Russischen Reichs an dessen Entwicklung wesentlich beteiligt waren. Mehrheitlich auf Einladung der Zarin Katharina der Großen ins Land gekommen, lebten sie in der Sowjetunion weitgehend autonom in der zu einer blühenden Landschaft aufgebauten sogenannten Wolga-Republik, konnten dort Deutsch als Amtssprache verwenden, ihr eigenes sehr erfolgreiches Schulwesen ausbauen und ihre Religion frei ausleben. Dieses fand 1941 ein jähes Ende. Folgende Verfolgung und Entrechtung führten letztlich nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs zu einer Rückkehr der meisten Russlanddeutschen als Aussiedler und Spätaussiedler in ihre Ursprungsheimat Deutschland.

Die Bundesregierung erkennt dieses besondere Kriegsfolgeschicksal der Deutschen aus Russland in besonderer Weise an. Alle anderen Bürgerinnen und Bürger fordere ich dazu auf, sich auch mit diesem leider allzu oft unbekannten Aspekt deutscher und gesamteuropäischer Geschichte auseinanderzusetzen. Sie geht uns alle an! Denn nur auf dem Fundament der Geschichte kann uns eine gute Zukunft gelingen."